„Schlafen“ sagen sie alle Drei auf die Frage, was sie nach der Rückkehr in ihre Heimatländer als erstes machen werden. Natürlich auch mit ihren Familien und mit Freunden das Wiedersehen feiern und später an den Strand gehen. Wenn diese Zeilen veröffentlicht werden, haben Alejandra Moreno, Kimberly Zuniga und Ericka Barrantes ganz sicher ausgeschlafen. Ende August sind die drei Süd-Nord-Freiwilligen des Jahrgangs 2022/2023 nach Honduras und Costa Rica zurückgekehrt. In der Woche vor ihrer Abreise haben sie uns bei einem Treffen in Paderborn von ihren ganz persönlichen Erfahrungen berichtet.
Während bei Ericka Barrantes in Costa Rica als nächstes eine Party mit Freund*innen auf dem Programm steht und Kimberly Zuniga ebenfalls in Costa Rica eine Woche Strandurlaub plant, beginnt für Alejandra Moreno in Honduras direkt das praktische Jahr als angehende Ärztin. „Das Jahr in Deutschland hat mein Leben verändert“, sagt sie. „Ich bin selbstsicherer geworden und habe gelernt, Entscheidungen zu treffen und umzusetzen. Ich traue mich jetzt, Dinge auszuprobieren.“ Kimberly Zuniga denkt sogar über eine neue berufliche Perspektive nach. In ihrer Heimat hat sie ein eigenes Modelabel. „Im vergangenen Jahr habe ich auch mein Interesse für Psychologie wiederentdeckt. Vielleicht beginne ich neben den Entwürfen für meine erste Kollektion ein Psychologiestudium.“
Die Perspektive zu wechseln, „aus der eigenen Bubble heraus zu kommen“, wie Ericka Barrantes sagt, sehen alle Drei als die große Chance eines solchen Freiwilligendienstes an. „Dabei habe ich erfahren, dass es verschiedene Blickwinkel auf die Dinge gibt, die von der eigenen Herkunft und Geschichte geprägt werden.“ Ein Mensch aus Costa Rica sehe die Dinge anders als ein Mensch aus Deutschland. „Das heißt aber nicht, dass die eine Perspektive automatisch besser ist als die andere, oder die eine richtig und die andere falsch.“
Am meisten an Deutschland überrascht habe sie das Gesundheitssystem, sagt die ausgebildete Medizinerin Alejandra Moreno, die während ihres Freiwilligendienstes im medizinischen Dienst des Kolping-Berufsbildungswerkes Brakel gearbeitet hat. „Die Menschen hier müssen sich über ihre Versorgung und die Finanzierung keine Sorgen machen.“ Ebenso sehr überrascht, aber im negativen Sinne, war Ericka Barrantes von der Kinderarmut. „Deutschland gilt als reiches Land. In Wirklichkeit ist hier jedes fünfte Kind von Armut bedroht. Das passt nicht zu dem Bild Deutschlands in der Welt.“ Kimberly Zuniga, die im Waldkindergarten in Hövelhof gearbeitet hat, war erstaunt, wie sehr der Lebensweg der Menschen durch das Bildungssystem vorgeformt wird: „Mir scheint, viele Kinder werden zum Funktionieren erzogen. Die Schulform gibt die Richtung für den späteren Beruf vor. Das schränkt die Möglichkeiten ein, die Bildung eigentlich erweitern soll.“
Pünktlich, verlässlich, humorlos – entsprechen die Deutschen diesen Klischees? „Zuerst dauert es eine Weile, bis die Menschen sich öffnen“, sagt Kimberly Zuniga. „Dann sind sie sehr höflich und vor allem ehrlich. Authentisch.“ „Die Deutschen sind sehr auf ihre Ziele fokussiert“, ergänzt Alejandra Moreno. „Sie sind ‚straight forward‘. Das möchte ich in Zukunft auch für mich ausprobieren.“ Ericka Barrantes lobt vor allem ihre Gastfamilie, bei der sie ein Jahr lang gelebt hat: „Sie waren unbeschreiblich nett und liebevoll und haben mich in meiner persönlichen Entwicklung bestärkt.“
Interkulturelle Begegnungen über Ozeane und Kontinente hinweg sind für alle Beteiligten bereichernd, da sind sich die drei jungen Frauen einig. Dabei sollten sich die Menschen ihrer unterschiedlichen kulturellen Hintergründe bewusst sein. „Diese unterschiedlichen Hintergründe können der Grund für Missverständnisse sein“, hat Kimberly Zuniga festgestellt. Deshalb sei es wichtig, nichts persönlich zu nehmen und sich nicht angegriffen zu fühlen. Für Alejandra Moreno ist Offenheit eine wichtige Voraussetzung: „Die Menschen aus dem Globalen Norden sollten offen dafür sein, etwas vom Globalen Süden zu lernen.“ Für einen Aufenthalt im Ausland empfiehlt Ericka Barrantes, möglichst viele Kontakte zu den Menschen aufzunehmen. „Anderenfalls bleibt man einfach nur ein Tourist.“
Text: Mario Polzer